Stand der Dinge: Meine Filme sind bewegte Postkarten. Alle top Sehenswürdigkeiten einer Altstadt detailliert abgefilmt, das wars.
Problem: Technisch ist das Video korrekt, trotzdem zippt der Zuschauer weiter. Der Film spricht ihn nicht an, ihm fehlen Emotionen. Die entscheidende Frage beim zusehen - „Wie geht es weiter?“ - kommt nicht auf.
Konkretes Beispiel: Bryggen
Ich komme im historischen Hansekontor Bryggen im norwegischen Bergen halbwegs gut informiert an.
Ich nehme auf: Totale über die repräsentative Giebelfront für die Eröffnung, Details an den Fassaden, Gang durch die Gassen, Innenhof, Kranausleger.
Zuhause merke ich, es ist mir nicht gelungen, die Atmosphäre von Bryggen einzufangen. Ich habe einen viele Clips, aber keine zusammenhängende Geschichte.
Hintergrund: Vom 14. bis Mitte des 16 Jahrhunderts war das Kontor Teil des mächtigen Handelsimperiums der Hanse. In Spitzenzeiten lebten dort auf engstem Raum 2000 deutsche Männer. Frauen durften Bryggen nicht betreten, was das Leben nicht leichter machte.
Es herrschten raue Sitte und der Konkurrenzkampf war brutal, ging es doch um sehr viel Geld. Die deutschen Kaufleute hatten südlich von Bryggen das Monopol für den Stockfischhandel.
Für Neuankömmlinge und vor allem Lehrlinge ging es in dieser Männergesellschaft im ersten Jahr im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben. Zudem, wegen Brandgefahr durfte keines der Kontorhäuser beheizt werden.
Ergebnis: Bryggen hat einen spannenden Hintergrund. Und eigentlich wollte ich mit meinen Bildern den Gegensatz zwischen dem mächtigen Kontor - siehe prächtige Fassaden - und dem eingepferchten, rauen Leben der 2000 Männer in der geschlossenen Gemeinschaft rüberbringen, was mir nicht gelungen ist.
Gründe: Ich hatte kein Konzept, wie ich die Macht des Kontors zeige. Beispiele:
- Statisches Weitwinkel vor der beeindruckenden Fassade zum Wasser, Menschen laufen vorbei? Soll ich für einen Überblick weiter weggehen, nur um dann herkömmliche Bilder zu erhalten?
- Oder mit Weitwinkel nah dran, die Fassaden wölben sich gewaltig in den Himmel. Aber dann verliere ich die gedrängte Enge, alle Kontor-Häuser stehen Wand an Wand. Die Hanse war in der Konkurrenz zu den Norwegern in Bergen nicht allmächtig.
- Zuhause hatte ich die Idee, mit den vielen Fenstern, die fast eine serielle Fabrikfassage ergeben, was zu machen. Z. B. mit einer schwebende Kamera an der Fassade entlanggehen und mit der Wiederholung der Fenster die wirtschaftliche Größe des Kontors zu zeigen. Nur, eine längere Kamerafahrten habe, dann sollten die anderen Aufnahmen nicht zu statisch gemacht werden. usw.
Ich hatte auch keine richtige Idee, wie ich als Gegenpol die Situation innerhalb Bryggens darstelle: 2000 Männer leben und arbeiten auf engsten Raum Tag und Nacht zusammen. Das birgt Konfliktstoff, sicher per Voiceover zu erklären, aber wie im Video umsetzen?
FRAGEN:
Ihr habt sicher schon Burgen, Klöster, Märkte oder Fabriken aufgenommen, die eine bewegte Zeit hatten oder haben. Wie geht man da ran, damit man am Ende eine Geschichte erzählt und nicht nur eine bewegte Postkarte hat?
Wie löst ihr so eine Situation bildlich auf? We stellt man z. B. Machtverhältnisse dar? Vorbereitung, Konzept, statische, bewegte Kamera? Weitwinkel oder mit Tele komprimieren? Wie die Macht und die innere Gefährdung zeigen? Oder ganz andere Lösungen...?
Im Idealfall hätte man ein Grundgerüst an Ideen, mit dem man flexibel auf die jeweilige Situation reagieren kann. Da gibt es viele Wege nach Rom, aber welche?
Damit ihr eine bildliche Vorstellung habt, wie es in Bryggen aussieht, hänge ich einige Bilder an.
Beste Grüße, Uli
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