Beispiel: Geringe Schärfentiefe in einem Doku-Film

  • In diesem Thread sind wir auf das Thema Schärfentiefe gekommen.


    Die Möglichkeit, mit lichtstarken Objektiven unter anderen Menschen freizustellen, fasziniert. Seit sie erschwinglicher sind, greifen wir Amateure deshalb zu APS-C oder Vollformatkameras mit f1.8 bis f1.2 Objektiven.


    Hat man die ersten Schärfeverlagerungs-Tests vom Endiviensalat zur Gurke erfolgreich hinter sich gebracht, tja, was dann?


    Dann merkt man, dass sich dieses Profi-Feature gar nicht so einfach in unsere Urlaubs- und Familienfilme einbauen lässt. Einmal kostet es Zeit, sich zu überlegen was man in der Schärfe und was in der Unschärfe haben will. Dann bewegt sich alles und man kommt kaum hinterher.


    Technisch: Hat man einige technisch gute Aufnahmen in der Timeline liegen, stellt man fest, dass sie zu all den anderen Aufnahmen mit der Schärfe von hier bis Moskau überhaupt nicht passen. Sie fallen technisch aus dem Rahmen.


    Inhaltlich: Zum anderen sieht man dann, dass Oma zwar auf der Wiese toll freigestellt ist. Es hier aber besser gewesen wäre, wenn man ihre Enkel hinter ihr deutlicher sehen könnte. Die Schärfentiefe ist hier thematisch - Oma-Enkel-Beziehung - falsch eingesetzt.


    Während im Tischgespräch zwischen Onkel und Opa die klare Zeichnung aller Umsitzenden stört. Hier wäre eine geringe Schärfentiefe inhaltlich nützlich gewesen.


    Ich habe hier ein Beispiel eines Dokumentarfilmes, wo die geringe Schärfentiefe, das Freistellungspotential gut umgesetzt wurde. Auch in einem Doku-Film ist das nicht einfach, vieles kann nicht geplant werden. Nebenbei, der Doku-Film ist recht "cineastisch".


    Achtet mal drauf, dass fast immer freigestellt wird, wenn z. B. das innige Verhältnis zwischen Pferd und Jugendlichen gezeigt wird. Untertitel auf Deutsch stellen.


    Inhaltlich: "Pressure and Release spielt in der wunderschönen Kimberley-Region, die eine der höchsten Selbstmordraten der Welt aufweist, von der vor allem junge australische Ureinwohner betroffen sind. Ein Hoffnungsschimmer ist Prof. Juli Coffin, eine Nyangumarta-Frau und Fachfrau für psychische Gesundheit, die ihre Pferdeherde in ein hochwirksames Programm der Pferdetherapie einbindet, um die langfristige Heilung einiger der am meisten gefährdeten jungen Menschen Australiens zu unterstützen."



    Beste Grüße, Uli

  • Oft wird geringe Schärfentiefe beim dokumentarischen Filmen eingesetzt um bspw. bei einem Interview den Protagonisten vom Hintergrund hervorzuheben. Wie bei einem Portraitfoto.


    Mit kleiner Blende wie f1.8 und längerer Brenweite an einem "großen" Sensor kann man da den Hintergrund zum quasi unkenntlichen "Bokehmatsch" machen, sprich der Hintergrund ist maximal noch schemenhaft (wenn überhaupt) erkennbar. Kennt man ja aus der Portraitfotografie wo so ein Bild tlw. ja auch gewünscht ist, eben weil es nur rein um die Person geht.


    Im Zusammenhang mit einem Film, einer gewissen Geschichte zu oder um diese Person möchte man aber oft den Hintergrund bzw. die Umgebung wo dieses Interview gemacht wurde noch erkennen können. Zwar nicht "knackscharf" sondern unscharf aber eben erkennbar.


    Und dazu reicht oftmals ein Objektiv mit f4.0 oder maximal f2.8 völligst aus. Und mit ein paar Kniffen und Tricks bekommt man fast den gleichen Bildlook mit einem 3/4" oder 1"-Camcorder hin (Blende ganz auf und im Telebereich arbeiten).


    Das sind so meine Erfahrungen aus inzwischen mehreren Jahren Arbeit mit Camcordern mit großem Sensor - im Normalfall reichen mir da Objektive mit f4.0 oder maximal f2.8 völlig aus.....

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  • also ich habe das Video mal "durchgeklickt".


    Beinahe bei jeder Einstellung habe ich erst mal gesucht, wo eigentlich überhaupt etwas scharf ist.


    Meine Begeisterung für offene Blenden und FF hält sich mittlerweile in Grenzen, weil selbst einfache Objekte nicht mehr durchgängig scharf sind. Wenn man dann noch eine etwas längere Brennweite nimmt, ist es für mich oft nur noch Frust...


    Gruß Jürgen

  • Meine Begeisterung für offene Blenden und FF hält sich mittlerweile in Grenzen, weil selbst einfache Objekte nicht mehr durchgängig scharf sind. Wenn man dann noch eine etwas längere Brennweite nimmt, ist es für mich oft nur noch Frust...

    Schärfentiefe ernsthaft einzusetzen, das geht eigentlich nur bei inszenierten Filmen, wo man alles genau planen und wiederholen kann.


    Als Hilfe für die Schauspieler werden auf dem Boden dann T-, X- oder L-Markierungen geklebt, damit sie genau wissen, wo ihre Füße stehen müssen, um perfekt im Fokus zu sein. Bin gespannt, ob sich dort mal Autofokussysteme durchsetzen.


    Ich setze auf Reisen kaum Schärfentiefe ein. Das macht bei meinen spontanen Aufnahmen unterwegs keinen großen Sinn. Insofern reicht mir F2.8 beim 28mm-70mm Objektiv völlig aus.


    Beste Grüße, Uli

  • Meine Begeisterung für offene Blenden und FF hält sich mittlerweile in Grenzen, weil selbst einfache Objekte nicht mehr durchgängig scharf sind. Wenn man dann noch eine etwas längere Brennweite nimmt, ist es für mich oft nur noch Frust...

    Das kommt sehr darauf an mit welcher Sensorgröße und Brennweite man arbeitet, mit meiner Panasonic FZ300 z.B.
    mit einem Leica Super-Zoom kann ich recht passable Freistellungen realisieren:


    Gartengruss.jpg


    Aufnahme mit F2.8, 624 KB-Brennweite, Entfernung ca. 5,2m, Freihandaufnahme,
    Freistellungen sind also nicht nur mit einer DSLR oder Systemkamera mit sauteuren Objektiven
    machbar!

    Mir würde ein 28mm-70mm Objektiv für mein Aufnahmespektrum mit Nichten ausreichen.


    Die Dokumenarfilm-Filmschule: KLick!

    Beste Grüsse;
    Es kommt darauf an wie kreativ man mit der Kamera umgeht, nicht wie teuer sie ist...

  • Die Freistellungsszenen bewundere ich auch immer an deinen Filmen.

    :thumbsup: der war gut, geht mir auch so Uli:yes:

    LG Paul

  • ...


    Die Dokumenarfilm-Filmschule: KLick!

    Vielen Dank für den Link. Da habe ich wieder etwas zu Lesen.

    vg Ian

  • In diesem Thread sind wir auf das Thema Schärfentiefe gekommen.

    vielen Dank für den sehr interessanten Link Uli, werde ich mir zu Gemüte führen:yes:

    LG Paul

  • Meine Begeisterung für offene Blenden und FF hält sich mittlerweile in Grenzen, weil selbst einfache Objekte nicht mehr durchgängig scharf sind. Wenn man dann noch eine etwas längere Brennweite nimmt, ist es für mich oft nur noch Frust...


    Ich nehme an Du meinst mit "nicht durchgängig scharf" die Parfocalität bei Zoomobjektiven. Das ist bei Filmaufnahmen tatsächlich ein großes Problem.


    Bei einem nicht parfocalen Objektiv verlagert sich die Schärfeebene beim Brennweitenwechsel. Stellt man beim fotografieren direkt vor dem Auslösen scharf so stört das nicht weiter - bei Filmaufnahmen kann das aber durchaus störend sein weil man sich eben keine Schärfe durch Heranzoomen einfach "holen" kann....


    Da eben die Parfocalität zum fotografieren nicht nötig ist - und dieser Konstruktionsweise Objektive teurer machen würde so sind eben viele Zooms nicht parfocal.


    Schärfentiefe ernsthaft einzusetzen, das geht eigentlich nur bei inszenierten Filmen, wo man alles genau planen und wiederholen kann.


    Als Hilfe für die Schauspieler werden auf dem Boden dann T-, X- oder L-Markierungen geklebt, damit sie genau wissen, wo ihre Füße stehen müssen, um perfekt im Fokus zu sein.


    Oder man filmt halt eben Blumenkohl und verlagert die Schärfe dann auf die Karotten - die sind wie der Blumenkohl fix eingepflanzt..... :teufel:


    Aber selbst bei vermeindlich "fixen" Objekten hat man tlw. Probleme, bspw. wenn man eine Blüte an einem Baum scharf haben will und es geht etwas mehr Wind - übertreibt man es mit dem geringen Schärfebereich so rutscht die Blüte ggf. aus dem Focus.


    Und ja, mit Schauspielern geht das (....wenn diese die Markierungen dann auch berücksichtigen), aber für dokumentarische Zwecke sollte man tierisch aufpassen bzw. sich den Stress ersparen das die Protagonisten andauernd aus der Schärfeebene fallen.


    Ich setze auf Reisen kaum Schärfentiefe ein. Das macht bei meinen spontanen Aufnahmen unterwegs keinen großen Sinn. Insofern reicht mir F2.8 beim 28mm-70mm Objektiv völlig aus.


    Ich bin jetzt mal "böse" und behaupte das Blende 4 für 90% völlig ausreichend ist!


    Ausnahme sind vielleicht Nachtaufnahmen wenn es wirklich ziemlich finster ist - wenn man das Glas Wein bei Kerzenlicht filmen will beispielsweise - aber normalerweise hat man ja auch bei nächtlichen Motiven genügend Lichtquellen im Bild.


    Und mit f2,8 hat man ausreichend Reserven - und muss nicht offenblendig filmen....und f2,8 bei 60 oder 70mm ergibt eine i.d.R. völlig ausreichende Freistellung sollte man diese tatsächlich mal benötigen....

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  • Da eben die Parfocalität zum fotografieren nicht nötig ist - und dieser Konstruktionsweise Objektive teurer machen würde so sind eben viele Zooms nicht parfocal.

    ... sind die Cine-Zoom-Objektive extrem teuer....

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    Rest ist private Meinung

  • Also in den ganzen 27 Minuten des Filmes "How horses healing trauma in Australia" wird kaum mit bewussten Schärfeverlagerungen gearbeitet. 14:09 vom Kopf des Pferdes zu dem Jungen ist die einzige solche Verlagerung im ganzen Film.


    Mit der geringen Schärfentiefe wird vor allem die Ernsthaftigkeit der Gespräche und die intensive Arbeit mit den Pferden inhaltlich herausgearbeitet. So habe ich das selten bei einem Dokumentarfilm gesehen.


    Die Schärfe wird nachgeregelt, wenn vor allem bei der Arbeit mit den Tieren sich Pferd und Mensch bewegen.


    Insofern sind teure parfokale Zoomobjektive nicht nötig. Und selbst wenn, bei so einem Film in der Natur würde es kaum auffallen, wenn ein Objektiv nicht parfokal ist.


    Auch in Interviews wird in diesem Film eine geringe Schärfentiefe vewendet, um die Sprecher herauszustellen. Z. B. bei den Gesichtern der Frauen ab 02:56 bis 04:03. Hier sagt eine Interviewte, dass in der Region schon Achtjährige Selbstmord begehen.


    Oder, beeindruckend 20:00 folgende, wo die Therapeutin das Mädchen an das Pferd heranführt


    Beste Grüße, Uli

  • Sie werden aber günstiger, wie Canon gerade mit dem ersten Hybrid-Objektiv gezeigt hat…

    Schon interessant, aber mit ca. 3.600.- € für das 24 - 105 mm auch nicht grad billig…

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    Rest ist private Meinung

  • Mal abgesehen, dass ich kein Amateurvideo kenne, dass Schärfeverlagerungen als erzählerisches Mittel einsetzt. Günstiger ist bei dem RF 24-105f 2.8 mit 3 599 Euro relativ.


    Die Power Zoom Adapter dazu werden mit 1 199 oder 1 499 Euro veranschlagt.


    Beste Grüße, Uli

  • Insofern sind teure parfokale Zoomobjektive nicht nötig. Und selbst wenn, bei so einem Film in der Natur würde es kaum auffallen, wenn ein Objektiv nicht parfokal ist.


    Würde ich so nicht zu 100% unterschreiben.


    Gerade im Run&Gun-Bereich und ohne Autofokus muss man sich oft die Schärfe durch Heranzoomen holen. Ist bewährte Praxis.


    Das ganze relativiert sich zwischenzeitlich durch den immer besser werdenden Autofokus, Gesichtserkennung, Touch-AF usw.


    Früher hätte ich ein Interview niemals mit AF gedreht, immer manuell fokussiert. Inzwischen mit Gesichtserkennung muss ich keine Angst haben das der AF quasi "weg springt" und auf einmal den Hintergrund scharf stellt. Heute "klebt" der AF dann am Gesicht bzw. den Augen - und das auch wenn der Protagonist sich bewegt.


    Insofern ist ein parfocales Objektiv in vielen Fällen nicht (mehr) nötig. Wo es aber immer noch nötig ist, das ist wenn bei Brennweitenänderung und eben manuellen Fokus der Schärfepunkt nicht wandern soll. Aber das ist dann eher was für geplante Drehsituationen bspw. im Spielfilm - und dann werden eben teure Cine-Zooms verwendet.


    Das Tamron 17-70/2.8 für E-Mount soll angeblich zumindest annähernd parfocal sein, eigene Tests haben bei mir in der Praxis keine Auffälligkeiten ergeben. Ich nehme es gerne zum Filmen mit der FX30 und der A6700, muss aber sagen das ich nur selten noch manuell fokusiere. Der gute AF ist da schon eine feine Sache....

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  • Dann schau doch mal was richtige Cine-Objektive so kosten.

    :):):) Das weiß ich.

    Da kommt dann durchaus noch eine „1“ davor, oder sogar mehr.


    Ich hatte mir mal zwei (Festbrennweite) Cine-Lenses ausgeliehen, nur um mal zu testen, was die an meiner BMD 6K bringen.

    War auch richtig toll damit zu arbeiten. Aber für mich einfach preislich nicht machbar. Und die Zoomobjektive schlagen da noch ein größeres Loch in die Kasse.


    Also bleibt es bei meinen Sigma Art. Auch wenn bei denen in der Beziehung halt aufpassen muss. Aber für etwas geschlossenere Blenden geht zoomen auch damit.


    Gruß

    Peter

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